Interpretationen des Dipl. Psychologen Dr. Ulrich Kobbé
zu einigen Werken des Bildhauers Lothar Michael Vollmar

 

 

Lothar Vollmar - Legebatterie

" Legebatterie"

Einfache Verhältnisse, so scheint es. Zur Dauerproduktion in Legebatterien gesperrt, sind Hühner - schuldlosen Schuldnern gleich - im Leben zum Tode gefangen. An das Ei als einzigen Sinn artfremder Existenz gekettet, gerät das übercodierte Verhältnis zum Dasein fristenden Zustand: Gequält, verstümmelt zur Legemaschine erniedrigt, nie Muttertier, selbst tierischem Leben entfremdet, leidet die unschuldige Kreatur um pervertierter Ziele Willen. Verantwortungslos. Brutal. Mit der Absicht, maximalen Profit einzubringen. Unverantwortlich. Gedankenlos. Zum banalen Zweck, das Sonntagsei zu garantieren. Einfache Warenverhältnisse eben...

 Lothar Vollmar - Leidensweg

"Leidensweg"

Obschon im vollkommenen Ei behütet, organisch vor Gefahr bewahrt, beginnt ein dornenreicher Aufbruch ins Nichts, denn: Wenngleich äußerlich aerodynamisch perfekt gestylt, entpuppt sich die Eizelle inwandig als Paradies und doch Gefängnis, aus dem ein Ausbruch unweigerlich versucht, Vertreibung provoziert werden muß. Nach dem Ausschluß aus dem Paradies - Ich will dir viel Schmerzen schaffen, wenn du schwanger wirst; du sollst mit Schmerzen Kinder gebären... Verflucht sei der Acker um deinetwillen, mit Kummer sollst du dich darauf nähren. Dornen und Disteln soll er dir tragen, und sollst das Kraut auf dem Felde essen. Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen... * - ist ein Entkommen nur scheinbar möglich, muß in der Logik antiker Tragödien auswegloses Schicksal gestaltet und kollektive Schuld angenommen, individuell (ab)getragen werden. Zur verletzenden Krönung gerinnt eine Verheißung, die als verspottende Versuchung empfunden werden kann: Ich will ihm zeigen, wieviel er leiden muß um meines Namens willen. **

*1.Mose 3,16-19;**Apostelgeschichte 9,16

 Lothar Vollmar - Kriegswahn

"Kriegswahn"

Angesichts selbstverschuldeter Blindheit eigeninduziertem Wahn der Väter bleiben die Kinder dieser Welt schutz- und hilflos. Wahn? Sinn? Nicht die Kindersoldaten in Asien, Afrika, Lateinamerika setzen dem Kriegstreiben ein Ende, sondern die geradezu aufsässige Bedürftigkeit des Kindes. Denn: Ein Zwerg, der auf den Schultern eines Riesen *steht, kann weiter sehen als der Riese selbst. Wahn? Sinn. Wider die Schranken der Gefühlsblindheit, die Mauern der Denkverbote ist der Säugling weitblickender als sein Helmträger: Angst überwinde(l)nd, setzt er seinen einzigen Schutz ein, sendet er in den Sintfluten der Barberei die Taube aus. Wahn? Sinn! Ein biblisches, arche-typisches Motiv: Die Taube als Träger der Hoffnung auf ein Zurückweichen der aggressionsgestauten Kriegsfluten und das Auftauchen einer friedfertigen, entwicklungsfördernden neuen Welt.

* lies auch "reason" = Vernunft, Verstand, Vernunftigkeit
   R.K. Merton: Auf den Schultern von Riesen. Frankfurt a.M. 1980

Lotahr Vollmar - Traurige Maikönigin

"Traurige Rehkönigin"

Klage, ja, Aufschrei der Rehkönigin gilt der Tatsache ihrer unerbittlichen Verfolger: Auf Straßen überfahren, übermäht und von Hunden gehetzt, bäumt sie sich leidend, ermattet auf. In majestätischer Würde reckt sich das gequälte Reh mit den Attributen seiner Verfolger - Orden gleich - zart, bitter, fürbittend empor...

Lothar Vollmar - Sorry Mutter Erde

"Sorry, Mutter Erde"

Verhöhnung? Blasphemie? Mitnichten. Erst in der Provokation, der Verzerrung der Verhältnisse, der Auflösung scheinbarer Sicherheit wird die verkannte Dezentrierung des Menschen deutlich: " Das Subjekt gehört nicht zur Welt, sondern ist eine Grenze der Welt."* So bleibt dem Einzelnen angesichts grandioser, menschengemachter Entgrenzung nur, an den Grenzen der Welt bescheiden inne zu halten, um für Raubbau, Vergiftung, Verwüstung und Denaturierung demütig Abbitte zu leisten.

* L.Wittgenstein 1918: Tractatus logico-philosophicus. Satz 5.632